In der Gestaltung und Kunst ist die Relevanz der Kompositionslehre vergleichbar mit der Formen-, Farben– und Perspektivenlehre.
Wie in allen Gestaltungslehren lässt sich auch die Kompositionslehre in Ordnung und Funktion aufteilen, wie auch dieser Beitrag aufgebaut ist. Zum grundlegenden Verständnis wird hier die Kompositionslehre mit Gemälden der Kunstgeschichte illustriert, wobei sich dies keines Falls auf Bilder beschränkt.
Über die Kompositionslehre
Eine Komposition (lat. compositio für Zusammenstellung) bezeichnet in einem Werk die Anordnung seiner Teile. Kompositionen gibt es etwa auch in der Sprache, Musik oder Mathematik. In der Gestaltung und Kunst bildet die Komposition ein relevantes gestalterisches Mittel wie die Farbe, Form oder Perspektive. Sie kann isoliert oder zum gesamten Werk betrachtet werden. Sie kann kontrolliert, unterbewusst oder zufällig entstehen und als solches wahrgenommen werden. In jedem Fall bleibt die Komposition in der Gestaltung und Kunst relevant. Eine Komposition ist nicht nur in Bildern und Skulpturen auszumachen. Auch andere künstlerisch-gestalterische Produkte wie Architekturen oder Installationen, audiovisuelle Beiträge oder performative Medien verfügen über eine Komposition. Die Kompositionslehre findet somit in diversen Bereichen der Gestaltung und Kunst Anwendung. Mit einem geschärften Blick auf die Komposition können die eigene Praxis gezielter gesteuert und fremde Werke bewusster rezipiert werden. In der eigenen Gestaltungspraxis oder Werkbetrachtung kann man damit die Wirkung erfassen, Botschaften ver- bzw. entschlüsseln, Aussagen zur Autorenschaft oder sogar Konzepte ganzer Kulturepochen formulieren. Im Schulunterricht findet die Kompositionslehre eher wenig Beachtung. Dies ist zu bedauern, da ein Verständnis für Komposition nicht nur für die eigene Gestaltungspraxis sondern etwa auch im täglichen Medienkonsum zum Tragen kommt. Dabei wäre es einfach und spannend die Kompositionslehre im Klassenunterricht zu vermitteln – etwa mit Improvisationstheater zu Stichworten wie Harmonie, Herrschaft, Geschlossenheit, Streit, Ausgrenzung, Schutz etc.
Die Elemente der Komposition
Um die Komposition eines Werks zu verstehen, müssen seine Teile, also die inhaltlichen und formalen Elemente des Werkes erkannt werden. Die Elemente können etwa klein oder gross, einzeln oder mehrteilig sein. Als inhaltliche Elemente verstehen sich etwa Räume, Objekte, Materialien, Figuren, Blickrichtungen oder die Lichtgebung. Formale Elemente hingegen beschreiben in einem Bild etwa Farben, Texturen, Formen oder Kompositionslinien. Der Blick auf die formalen Elemente verlangt ein geschärftes Verständnis in der Gestaltung und Werkbetrachtung, was insbesondere bei der Betrachtung ungegenständlicher Kunst gut eingeübt werden kann. Das Gegenständliche sowie das Formale kann losgelöst oder im Vergleich zueinander gelesen werden. So lässt sich beispielsweise die Farbkomposition losgelöst untersuchen oder mit der Komposition der Figuren vergleichen: Wo sind die warmen und wo die kalten Farben im Werk? Wo sind die Heiligen und wo die Sünder angeordnet? Und wie verhalten sich beide Anordnungen zueinander? Auf diese Fragen gibt die Analyse zur Anordnung der Komposition eine Antwort, worauf im nächsten Abschnitt eingegangen wird.
Die Anordnung der Elemente
All die Kompositionselemente sind räumlich und gegebenenfalls zeitlich auf eine bestimmte Art angeordnet, welche ein Schema bilden können. Die Kompositionsanalyse untersucht genau diese Anordnung. Dabei können einfache und komplexe Ordnungsprinzipien zum Vorschein kommen. Ein einzelnes Element steht wie in Malewitschs rotem Quadrat an einer bestimmten Stelle zum Bildformat, etwa leicht erhöht, aus der Mittelachse verschoben oder um wenige Grad geneigt, was kompositorisch einen grossen Einfluss auf die Wirkung des Werks einnimmt. Es kann auch an den Rand gedrängt oder von diesem angeschnitten sein. Ebenso spielt die Ausrichtung nach links oder rechts eine Rolle – z.B. die Körperdrehung von Marcs Tiger nach links. Die Gesamtkomposition kann ein bestimmtes Teilungsverhältnis einnehmen. Für die Gesamtkomposition ist nicht selten auch die Farb- und insbesondere Helldunkelkomposition relevant. In komplexeren Ordnungsprinzipien werden Zusammenhänge oder Kontraste vergleichbarer Elemente gesucht, womit sich ebenfalls eine kompositorische Wirkung oder Bedeutung entfalten kann. Die Elemente können geballt oder verteilt, symmetrisch oder asymmetrisch angeordnet sein. Sie können einer Kompositionslinie oder einem Rhythmus folgen. Die Anordnung kann geometrische Formen oder komplexe Strukturen abbilden. Darüber hinaus kann eine Komposition einen Bezug zu einem benachbarten Bild oder zu bestehenden Bildkonventionen bilden. Bevor auf die Wirkung und Bedeutung der Komposition eingegangen werden kann, muss also das Ordnungsprinzip verstanden werden.
Der Betrachterstandpunkt
Der Betrachterstandpunkt ist auch für die Kompositionslehre relevant, wobei sich dieses Feld mit der Perspektivenlehre überschneidet. Mit der Augenhöhe, Ausrichtung und Ausschnitt, Blickwinkel und dem Spiel von Vorder-, Mittel- und Hintergrund kann stark auf die Komposition eingegriffen werden. Dies gilt nicht nur bei wirklichkeitsnahen Bildern wie in der Fotografie oder hyperrealisitischen Malerei. Auch expressive oder sogar ungegenständliche Bilder erzeugen oftmals ein perspektivisches Erlebnis oder zeigen zumindest einen Ausschnitt in einem assoziativen Kontext, womit die Bildkräfte der Komposition in Erscheinung treten. Und auch bei dreidimensionalen Rauminstallationen, wo sich der Betrachter zum Werk oder sogar das Werk selbst bewegt, ist der Betrachterstandpunkt für die Komposition relevant.
Die Funktion einer Komposition
Eine Bildkomposition stellt also nicht einfach nur die Wirklichkeit dar. Sie ist aber auch nicht nur eine formale Spielerei, um ein Bild „hübsch“ wirken zu lassen. Eine Komposition hat viel mehr Möglichkeiten zur Wirkung auf den Betrachter und auch eine erzählerische Komponente. Die Wirkung der Komposition kann je nach Ausprägung Monotonie oder Spannung, Stabilität oder Dynamik, Harmonie oder Disharmonie hervorrufen, was zum Gehalt und Erlebnis eines Werkes beiträgt. So wurde als Kompositionsschema etwa in der Hochrenaissance gerne auf harmonische Proportionen wie dem goldenen Schnitt und auf stabilisierende Symmetrien gesetzt, währenddessen im Barock nicht selten Diagonalen und Ellipsen verwendet wurden, um damit das Werk dynamisch oder wuchtig wirken zu lassen.
Die erzählerische Komponente von Kompositionen enthalten oftmals narrative Codes, die erlernt werden müssen – etwa dann, wenn es darum geht, die Flucht von Figuren zu versperren, das Sakrale vom Profanen zu trennen oder etwas Schützendes oder Böses über eine ganze Szenerie herrschen zu lassen. Bei ikonographischen Konzepten – also bei wiederkehrenden Bildmotiven, die einmal entwickelt wurden und darüber hinaus Verwendung fanden – wird mittels der Komposition sogar auf ganze Konzepte und Philosophien verwiesen. In der christlichen Ikonographie etwa verweist insbesondere seit der Renaissance die Dreieckskomposition auf die heilige Dreifaltigkeit und somit auf das Göttliche. Der goldene Schnitt vermittelt seit der frühen Neuzeit bis heute Harmonie und Eintracht. Der Kreis symbolisiert das Unendliche oder das Quadrat das Irdische. Knifflige Ordnungsprinzipien mögen an spezifische Kulturen und Zeitgeschichten gebunden sein. Jedoch nicht selten überlebten und entwickelten sich jahrhundertalte Konventionen der Kompositionslehre weiter, die sich heute in der Unterhaltungsindustrie und im Mainstream der Konsumästhetik manifestieren. Sie bilden die Grundlage unserer ausdifferenzierten Kommunikation und Kultur von heute. Nur sind sich dessen wenige bewusst.