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Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Stilrichtungen und -strömungen der klassischen Moderne. Die klassische Moderne umfasst aus kunstgeschichtlicher Sicht jene Phase, die nach der Neuzeit etwa um 1900 unter anderem mit dem Expressionismus, Futurismus und Kubismus beginnt und bis zum Ende des zweiten Weltkrieges 1945 oder spätestens bis in die 1980er Jahren andauert. In der klassischen Moderne wurde das Paradigma der Naturnachahmung (Mimesis) weitegehend verworfen. Dies betreffen insbesondere formale Prinzipien wie die Perspektiven-, Proportionslehere (z.B. goldener Schnitt) und die lichtbestimmte Farbmodulation als auch überhaupt die Motivation gegenständlich bzw. referentiell abzubilden.

Zwei Bemerkungen zum Artikel: Die Bebilderung zum Artikel ist nicht annäherungsweise repräsentativ, da unter anderem ein Grossteil der Werke dieser Zeit urheberrechtlich geschützt ist. Hinweise zur gesamten Beitragsreihe siehe: Geschichte der Malerei.

Expressionismus (1900-1920)

Der Expressionismus bezeichnet eine Stilströmung, die sich vor allem um Ausdruck bemüht. Er zielt auf das Emotionale, will den inneren Ausdruck erfassen und in Bildern umsetzen. Er bedient sich dabei der Mittel der Übertreibung, Verzeichnung und Verzerrung. Der Expressionismus ist eine Gegenbewegung zum Realismus und Impressionismus. Er knüpft an den Symbolismus an und treibt die Ansätze von Van Gogh und Gauguin weiter, die mit einer gesteigerten Farb- und Formgebung die Malerei von der Funktion der reinen Nachahmung (Mimesis) lösten. Der aus dem Französischen übernommene Begriff "Expression" bedeutet Ausdruck. Er verweist auf das Bedürfnis des Künstlers, innere und somit subjektive Ansichten, Wahrnehmungen und Stimmungen nach aussen zu verbildlichen bzw. auszudrücken (im Gegensatz zu "Impression" = Eindruck). Das Sujet wird auf der Leinwand dementsprechend durch eine "formale Interpretation" mit zusätzlichen Informationen versehen. Als Inspiration galt die ausdrucksstarke afrikanische und ozeanische Kunst sowie naive Malerei und Zeichnungen von Kindern und Geisteskranken. 

Franz Marc Blaues Pferd 1911.jpg

Ernst Ludwig Kirchner - Potsdamer Platz.jpg

Kirchner 1909 Marzella.jpg

Macke Russisches Ballett 1.jpg

Blaues Pferd I,
1911, Marc
Potsdamerplatz,
1914, Kirchner
Marzella,
1909/10, Kirchner
Russisches Ballett,
1912, Macke

Inhalt: Darstellung von leidenschaftlichen, seelischen Erlebnisse eines bestimmten positiven oder negativen Momentes in Portrait, Stillleben, Landschaft, Darstellungen aus Natur und Alltag etc.

Form: Einfache und spontane Ausführung, grober Form- und Farbeinsatz, teils Umrisslinien, grossflächig, kontrastreiche Ausdrucksfarbe, modifizierte Proportionen.

Vertreter: Henri Matisse , Marc Chagall , August Macke , Amedeo Modigliani (in Ansätzen), Edvard Munch (Vorläufer, Verschmelzung mit Jugendstil und Symbolismus), Max Beckmann , Ernst Ludwig Kirchner , Egon Schiele , Franz Marc. Künstlergemeinschaften: Fauves (franz. = die Wilden), Die Brücke , Blaue Reiter.

 

Kubismus (1906 bis 1918)

Der Kubismus („cubus“ = Würfel) führt Cézannes Vorarbeit weiter (Zurückführung der Gegenstände auf ihre wesentliche Form, wie Kugel, Kegel, Zylinder und Überwindung der Zentralperspektive). In der ersten Phase (dem sog. analytischen Kubismus) versuchte der Kubismus den Raum durch Standortveränderung komplett zu erfassen, bis sich mit den Jahren der Raum komplett aufzulösen scheint. Eine sog. polyvalente Perspektive ist das Ergebnis dieser Arbeit. In der zweiten Phase (dem sog. synthetischen Kubismus) entstand aus dieser Anlage ein Spiel mit den bildnerischen Mittel. Aus abstrakten geometrischen Formen kreierten die Künstler ein neues Ganzes. Dabei kam es auch vor, dass eine Collage-Technik angewendet wurde, wobei man z. B. Zeitungsstücke oder Tapeten direkt auf die Bilder klebte.

JuanGris.Portrait of Picasso.jpg

Juan Gris Die Bordeauxflasche 1915-1.jpg

 
Portrait von Picasso,
1912, Gris
Die Bordeauxflasche,
1915, Gris
 

Inhalt: Vorwiegend Stillleben, Portraits, Figur und Akt, teils auch Landschaft und Architektur.

Analytischer Kubismus (ab 1906)

analytisch = auseinandernehmen: Form ist wichtiger als Farbe (meist Farbwerte in braun-grau), verschiedene Ansichten in einem Bild (Simultanperspektive), zur besseren Erfassung werden die Sujets abstrahiert bzw. geometrisiert (Kugel, Kegel, Zylinder).

Synthetischer Kubismus (ab 1912)

synthetisch = zusammenfügen: Figur und Grund lösen sich schliesslich auf, es geht nur noch um Rhythmus in einer Bildfläche, stark abstrakte Motive werden durch leicht erkennbare Gegenstände wieder lesbar gemacht (Gitarre, Flasche...), Gegenstände werden direkt in das Bild geklebt (Tapete, Spielkarten). 

Vertreter: Pablo Picasso , Georges Braque, Juan Gris, Fernand Leger.

 

Futurismus (1909-1915)

Der Futurismus (Futurum = Zukunft) ist eine von Italien ausgehende politisch-künstlerische Bewegung, welche Fortschritt, Technik, moderne Maschinen und Geschwindigkeit verherrlicht (auch Kriegsbefürworter und Sympathisanten von Mussolini). Beeinflusst von der Chronophotographie (= Bewegungsfotografie, siehe Eadweard Muybridge) entwickelt der Futurismus neue formale Möglichkeiten, Bewegung und Tempo im Bild darzustellen.

Inhalt: Tempo, Bewegung in der Stadt, Maschinen, technische Konstruktionen, Verkehr.

Form: Überlagerung, Wiederholung einzelner Elemente, Durchdringung, teils Gestaltungsmittel aus dem Kubismus entlehnt (Kubofuturismus).

Vertreter: Umberto Boccioni , Giacomo Balla , Anton Bragaglia teils Marcel Duchamp.

 

Konstruktivismus (1913-1933) 

Der Begriff Konstruktivismus bezeichnet nicht nur die geometrische, nicht figurative Form der Kunst. Er dient einfacheitshalber auch als Sammelbegriff für Stilrichtungen der Modernen Kunst zu Beginn des 20. Jh. aufbauend auf der Stilrichtung Suprematisums (1915-1930), der daraus entwickelten Künstlervereinigungen De Stijl (1917-1925) und den assoziierten KünstlerInnen der Kunstschule am Bauhaus (1919-1933). Spätestens seit dem "Schwarzen Quadrat" (1915) von Malewitsch hat sich die Malerei nach ihrer "Krise" (nach der Entdeckung der Fotografie 1839) je länger je mehr verselbständigt und ist nun absolut autonom (keine Mimesisfunktion mehr). Die Bilder haben keinen visuellen Bezug zur Welt mehr - Bilder sind nicht mehr "nur" Abblilder. Nach strengen kompositorischen Grundsätzen wurden Bilder minutiös durchgeplant und puristisch umgesetzt. Dabei spielten unter anderem die Grundfarben (Rot, Blau und Gelb) und Grundformen (Linie, Rechteck, Kreis etc.) eine wichtige Rolle. So entstanden gänzlich abstrakte - also gegenstandslose - Bilder, die oft keinen sichtbaren Duktus (Pinselstrich) mehr besitzen und sich vollkommen der geometrischen Konstruktion und ihrer Wirkung widmeten. Obwohl die Arbeiten nicht als Abblid zu verstehen sind, verbergt sich dahinter nicht selten ein tiefergehender philosophischer oder sogar etwa sozial-revolutionärer Gehalt.

     
Schwarzes Quadrat,
1915, hier eine spätere Version von 1920,
Malewitsch
Supremus Nr. 58,
1916,
Malewitsch
Komposition XXVI,
1923,
van Doesburg
 

Inhalt: Gegenstandslos, einfache Geometrische oder organische Formen, einheitliche und wenig modellierte Farben, keine konventionelle Raumdarstellung, einfache aber eher experimentelle Kompositionen, glatte Oberflächen.

Form: Die Komposition wird zum vorwiegenden Gestaltungsmittel, teils reduzierte Farbigkeit, Farbfunktion ist autonom (keine Gegenstands- oder Erscheinungsfunktion), bevorzugte Verwendung von Gerade, Rechteck, Dreieck und Kreis.

Vertreter: Kasimir Malewitsch (1878-1935), Wassily Kandinsky (1866-1944), Paul Klee (1879-1940), Theo van Doesburg (1883-1931), Piet Mondrian (1872-1944), Oskar Schlemmer (1888-1943).

 

Dadaismus (1915 bis 1922)

1914 brach der erste Weltkrieg aus, der von vielen als großes hygienisches Ereignis herbeigesehnt wurde. Bald aber wurden die Schrecken dieses Krieges offensichtlich und Resignation machte sich breit. Einige Künstler, die sich während des Krieges in der neutralen Schweiz im Exil aufhielten, begründeten im Cabaret Voltaire in Zürich den Dadaismus (Dada = Kindersprache, franz. "Pferdchen"), der vor allem eine provokante und protestierende künstlerische Äusserung war. Diese "Antikunst" reagiert mit dem Sinnlosen, Paradoxen und Banalen in Bildender Kunst und Literatur auf die im ersten Weltkrieg verkommenen Werte und den bürgerlichen Kunstgeschmack. Das Arbeiten mit dem Zufall wird zur wichtigsten gestalterisch-künstlerischen Strategie. Collagen, Montagen, Flugblätter, Objektkunst und Aktionen mit Literatur, Theater, Tanz und Musik bestimmen die Kunstbewegung. Ausserdem beginnt mit dem Dadaismus die Auflösung der Grenzen zwischen den traditionellen Kunstgattungen (Malerei, Skulptur usw.).

Poster Dada Matinee, Druck, 1923, van Doesburg
Typische Vertikalklitterung als Darstellung des Dada Baargeld, Collage, 1920, J. T. Baargeld
Das menschliche Auge und ein Fisch, letzterer versteinert, 1920, J. T. Baargeld

Form: unkonventionelle Gestaltung, zufällige Zusammenstellungen von fotografischen und typografischen Zeitschriftenmaterial bzw. Gegenständen.

Inhalt und Technik: Portrait, Figur, Ungegenständliches, (Material-) Collagen, satirische Montagen, Objektkunst (Objet trouvé, Ready-made.

Vertreter: Kurt Schwitters (1887-1948), Marcel Duchamp (1887-1968), John Heartfield (1891-1968), Raoul Hausmann (1886-1971), Hans Arp (1886-1966), Hannah Höch (1889-1978), Max Ernst (1891-1976). Künstlergruppe: Cabaret Voltaire (1916, Zürich).

 

Surrealismus (ab ca. 1924)

Der Surrealismus (= "über" + "real") entsteht aus der Dada-Bewegung und basiert auf den Theorien des Psychoanalytikers Sigmund Freuds (Traumwelt zeigt die Realität, Entdeckung des Unbewussten). Als künstlerische Vorläufer gelten der Symbolismus und die Pittura Metafisica (seit 1910 z.B. Giorgio De Chirico). Das Ziel der Surrealisten war es die widersprüchlichen Erfahrungen von Traum und Wirklichkeit in einem erweiterten Bewusstsein als komplexe Überwirklichkeit erfahrbar zu machen. Die Surrealisten interessierten sich für einen hinter der Erfahrung und hinter der vordergründigen Anschauung liegenden tieferen Sinn des Daseins. Dabei spielen die Entstehung und Darstellung von Träume, Assoziationen, Wahnvorstellungen oder scheinbar sinnlose Gedanken eine wesentliche Rolle. Sie werden ernst genommen und malerisch umgesetzt. Gegenstände und Situationen werden neu kombiniert und somit auch neu wahrgenommen. Der Surrealismus bedient nebst Malerei auch Plastik, Literatur, Film und Fotografie.

Veristischer Surrealismus

Inhalt: Gegenständliches, Pseudo-Reales, Landschaften, Stillleben, Akt.

Form: Technisch raffinierte Umsetzung mit visuell hoher Wirklichkeitsnähe (Erscheinungsfarbe, korrekte Perspektive), jedoch deformierte und "verschmolzene" Gegenstände, Tiere und Menschen.

Vertreter: Salvador Dali (1904-1989), Rene Magritte (1898-1967), Max Ernst (1891-1976). 

Absoluter Surrealismus

Inhalt: Unwirkliches, Phantastisches, Traumhaftes.

Form: Stark abstrahierend, teils mit symbolhaften Bildelementen.

Vertreter: Joan Miro (1893-1983).

 

Neue Sachlichkeit (1920-1933)

In der neuen Sachlichkeit wird nach der Zeit der Abstraktion wieder gegenständlich und realistisch gearbeitet. Die "neue Sachlichkeit" dient in der Malerei als Sammelbegriff für Kunst, die sich weder dem Expressionismus, Konstruktivismus und dem Surrealismus zuordnen lässt.

Inhalt: Sozialkritik durch Themen aus Kriegs- und Nachkriegszeit (Krise, Korruption, Dekadenz), Strassen, Innenräume, Menschen bei der Arbeit, im Alltag, Karikatur, Satire etc.

Form: Realistisch, die Volumen und Proportionen können aber (trotz Licht-Schatten-Modulation und sachlicher Wiedergabe) grob und grotesk wirken.

Vertreter: Otto Dix (1891-1969) und George Grosz (1893-1959) (veristischer Expressionismus), Käthe Kollwitz (1867-1945) (sozialer Realismus).

 

Nationalsozialistische Kunst (1933-1945)

Das nationalsozialistische Regime zensurierte und verfolgte avantgardistische und experimentierfreudige Kunst, wie sie seit dem Impressionismus vorkam. Durch eine Wanderausstellung mit dem Titel "entartete Kunst" wurde die verfolgte Kunst zur Schau gestellt und lächerlich gemacht, um somit das eigene Programm zu stärken. Dabei ging es vorwiegend um Ideale, welche die eigene politische Doktrin unterstützte.

Inhalte: Portrait (Volksgenossen), parteifördernde Karikaturen und Inhalte wie idealisierte und romantisierte Arbeiter, Helden, Kämpfer sowie militärische bis sogar rassistische Darstellungen.

Form: Realistische, idealisierte und konservative Ästhetik.

Vertreter: Oskar Martin-Amorbach (1897-1987), Arhur Kampf (1864-1950), Adolf Ziegler (1892-1959).

 

American Scene (1930/1950)

Der amerikanische Realismus kann als erster amerikanischer Stil bezeichnet werden, ist jedoch stilistisch verwandt mit der Malerei der Neuen Sachlichkeit in Europa.

Vertreter: Diego Rivera (1886-1957), Georgia O'Keeffe (1887-1986) (nahe am Gegenstandslosen), Edward Hopper (1882-1967).