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In der rezeptiv-praktischen Analyse wird ein Gegenstand oder Phänomen nicht nur visuell-theoretisch, sondern auch mittels physisch-praktischer Verarbeitung untersucht. So eine Analyse kann prinzipiell mit jedem Kunstwerk oder gestalterischen Produkt durchgeführt werden. Diese Anleitung beschränkt sich jedoch auf Bilder. Konkret sollen hier durch diverse Nachzeichnungen eines Bildes verschiedene Aspekte im Bild wahrgenommen und praktisch erlebt werden. (4GF)

 

 

In dieser rezeptiv-praktischen Bildanalyse wird das Bild immer wieder mit "neuen Augen" betrachtet und von Neuem gezeichnet bzw. interpretiert. So wird einmal z.B. die Bildeinteilung untersucht und abstrakt nachgezeichnet, ein andermal die Helldunkelwerte und dergleichen. Ziel einer solchen Analyse ist nicht nur die Förderung einer genauen Beobachtung, sondern auch die Bildung von Argumenten für eine formalästhetische Bildanalyse mit anschliessender Interpretation.

Die Ausführung der rezeptiv-praktischen Analyse ist prinzipiell mit allen bildnerischen Mittel und Medien möglich. Nicht nur mit der Zeichnung sondern auch mit Malerei, Collage, Fotografie, Bildhauerei, Theater, Film oder Poesie. Bei der Anzahl der zu untersuchenden Aspekte sind keine Grenzen gesetzt. In diesem konkreten Leitfaden wird jedoch die Analyse auf fünf Aspekte beschränkt. Die Analyse erfolgt mit Papier und Stift (Bleistift, Kugelschreiber, Filz..). Somit führt die Bildanalyse trotz überschaulichem Material- und Zeitaufwand effizient zu Resultaten. Sie ist mit anderen Analyseblättern gut vergleichbar und kann zu Diskussionen anregen.

Beispielanalyse

In der Beispielanalyse wird die "Venus vor dem Spiegel" von Velazquez analysiert. Jede der fünf Zeichnungen ist jeweils für eine bestimmte Kategorie bestimmt, dessen Gesichtspunkte Sie weiter unten entnehmen können. Je nach Werk macht es Sinn, den einen oder anderen Aspekt zu untersuchen. Beobachten Sie neugierig, kreativ aber auch präzise!

Diego Velazquez, Venus vor dem Spiegel, Öl auf Leinwand, 1648-1651
 

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Gianna (4. Grundlagenfach Bildnerisches Gestalten, Schiers), rezeptiv-praktische Bildanalyse von Velazquez' "Venus vor dem Spiegel", Bleistift auf A3, 2014

Rezeptiv-Praktische-Bildanalyse_GiannaB_201404.jpg

 

A) Nachzeichnung inkl. Herauszeichnungen

Als erstes wird das Werk an dieser Stelle ganz einfach abgezeichnet. Beginnen Sie mit dem Bildformat (Rahmung) in den korrekten Proportionen. Zur Übertragung des Bildes von der Vorlage dürfen Sie auch ein Zeichenraster benutzen (Raster auf Klarsichtfolie). Die Tonwerte und Oberflächen sollen in einer geeigneten Schraffur wiedergegeben werden. Zudem sollen ausserhalb dieser ersten Zeichnung interessante Details, Gegenstände, Körperteile oder Kleidungsstücke am Rande linear herausgezeichnet werden. Unterhalb dieser ersten Zeichnung kommen schliesslich die Bildangaben zu stehen.

B) Bildfläche

Versuchen Sie nun in der zweiten Zeichnung die Bildeinteilung zu entschlüsseln, indem Sie das Bild auf prägnante Bildflächen und Kompositionslinien reduzieren. Vielleicht ergibt sich aus der Komposition ein symbolträchtiger Bildaufbau mit Dreieck, Viereck, Kreis oder Ellipse oder die Komposition wirkt durch auffällig viele vertikale und horizontale Linien eher ruhig bzw. durch viele Diagonalen und Richtungswechsel dynamisch. Vielleicht ist es aber auch nur ein Element, das anders zur Gesamtkomposition steht und Aufmerksamkeit verlangt. Teils kann es auch spannend sein, nur die Zwischenräume als Flächen nachzuzeichnen. Gibt es eine Reihung, einen Rythmus, eine Ballung, Verteilung, Symmetrie oder etwa Analogien in der Bildfläche? Wie ist die Grössenverteilung?

C) Farbwerte

Lässt sich das Bild in eine helle und eine dunkle Fläche reduzieren oder zumindest auf drei Farbstufen vereinfachen? Wo befinden sich die satten Bildstellen, wo kommt überall Rot oder Blau vor?

D) Bildraum

Zeichnen Sie nun z.B. die Figur-Grund-Beziehung des Bildes durch die Umrisslinien des Hauptsujets heraus. Oder versuchen Sie das Bild in Vorder-, Mittel- und Hintergrund aufzulösen. Vielleicht lassen sich auch Fluchtpunkte und der mathematische Horizont rekonstruieren. Auch die plastische Verstärkung eines Bildelementes könnte spannend sein. Bei manchen Bilder macht es  Sinn, den Bildraum im Grundriss, also von oben, nachzubilden. Oder ganz einfach: Zeichnen Sie den Raum ohne Figuren und Objekte!

E) Weiteres

Hier haben Sie noch Platz für eine weitere Analyse der obigen Kategorien. Vielleicht möchten Sie aber auch noch etwas untersuchen, das noch nicht vorgekommen ist. Wie schaut es mit den Blickrichtungen aus? Diese können Sie mit Pfeilen veranschaulichen, um die Interaktionen der dargestellten Figuren besser nachzuvollziehen. Oder die Lichtquellen: Woher kommt das Licht? Gibt es Oberflächen die sich wiederholen oder gegenseitig steigern? Wo sind die harten und wo die weichen Gegenstände? Und dergleichen...

Weitere Literatur